Leseprobe NIZZA BLUES - Seelenfutter-Buchprojekte

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Leseprobe aus NIZZA BLUES

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Ganz wohl war mir nicht. Ständig fürchtete ich, plötzlich diesem Frettchen Kuschner gegenüber zu stehen. Oder Mimi. Auch nach Johannes war mir nicht. Eigentlich war mir nach gar keinem von denen, die bedeuteten doch alle nur Unglück. Stopp, das dünne Schaf vom Nachmittag mal ausgenommen. Die versprach wenigstens etwas positive Energie.
 Für zehn Minuten. Acht?
 Aber immerhin.
 Ich hielt mich weitgehend im Schatten, mied die Lampen, die hellerleuchteten Stellen, die Mitte der Wege. Inzwischen war es dunkel geworden und alles wirkte verändert. Ich erreichte die Bank mit dem Fuck U, jetzt wurde es spannend. Wie ein Frontsoldat auf dem Schlachtfeld lief ich geduckt mit eingezogenem Kopf. Im Grunde war das wahrscheinlich noch auffälliger als aufrecht mit einem gar fröhlich Liedlein auf den Lippen.
 Die Anlegestelle der Master of the Universe war leer, das Schiff verschwunden, eine kleine Lücke hinterlassend wie einen freien Parkplatz. Kuschner hatte sich also mit meiner Kamera auf und davon gemacht, na super. Für das Ding hatte ich quittiert, was sollte ich jetzt erzählen? Oh, mein Chef hat mir die Kamera weggenommen, wendet euch an den? Das würde natürlich niemanden interessieren. Ich ging in die Hocke und starrte ins schwarze Wasser, in meinem Kopf versammelten sich die üblichen Verdächtigen, eine Horde eingeschworener Nörgler, die den ganzen Tag nichts Besseres zu tun hatten, als mich fertig zu machen. Dachte, du hast gar keinen Chef? Bist du nicht ein Freier? Also ist alles klar. Wer unterschreibt, der kriegt die Rechnung. Ich war Weltmeister in Gedankenschleifen drehen.
 
 Die Angeberpötte links und rechts von mir hüllten sich weitgehend in Dunkelheit, nur auf der Sundancer schimmerte etwas Licht durch ein paar Fenster, ganz offensichtlich war fast keiner mehr da, die flotte Party lange schon zu Ende. Na ja, auch ein Russe brauchte mal ne Auszeit, schätzte ich. Sollte ausgerechnet Viviane ihm jetzt noch Gesellschaft leisten? Als vielleicht letzte der ganzen Pharisäer, die sich da einen netten Nachmittag auf seinem Deckel gemacht hatten? Lief da vielleicht schon was zwischen den beiden? Bekam das reiche Arschloch wieder alles, was es wollte, während sich das gemeine Volk auf dem harten Holz der Zuschauerbänke einen weiteren Spreißel in den Allerwertesten hockt? Ich sah mich sofort wieder ausgesperrt und abgewiesen, und es machte mich sehr, sehr wütend.
 „Papi geht jetzt nachsehen“, murmelte ich als wäre Chris an meiner Seite.
 Ich zog meine ARRI-Cap tiefer ins Gesicht, überstieg die geschlossene Reling am Heck und schlich mich an die Tür zur Kajüte. Leise Musik, Worte, ein helles Lachen, die Stimme einer Frau. Vielleicht Viviane, aber es war einfach zu leise, um es wirklich erkennen zu können. Wie ne Borderlinerin kurz vor dem Durchdrehen klang es allerdings nicht. Ganz im Gegenteil. Come on, darling, rief jemand etwas lauter, das verstand ich sogar. Danach das Poppen eines Sektkorkens, wieder Lachen, Stimmen, Heiterkeit. Ja, ihr blöden Ärsche, dachte ich, habt nur alle viel Spaß am Leben und zeigt es mir immer schön, damit ich täglich daran erinnert werde, wie es auch sein könnte, wenn ich nur nicht ein solcher Versager wäre.
 Ich versuchte die Tür zu öffnen, sie gab sofort nach, war nicht verschlossen, schwang geräuschlos auf. Ich nahm es als Ermunterung hinein zu gehen. Der Raum war dunkel, doch im nächsten strahlte warmes, gedämpftes Licht. Drei Stufen führten nach unten in den Salon. Helle Polstergruppen, ein edler Holztisch mit Gläsern darauf, ein Champagnerkühler voller Eis, dazu der angenehme Duft von teurem Parfum. Die Tür zum Sonnendeck am Bug war geöffnet, die Vorhänge bauschten sich leicht im Wind, ein Mann und eine Frau, Silhouetten nur, nahmen gerade auf weißen Lederpolstern Platz, stießen an, tranken, redeten. Die Frau konnte tatsächlich Viviane sein, aber sicher war ich mir nicht, der Bug hüllte sich in Dunkelheit, alles verschwamm diffus, ich musste näher heran.
 Stimmen. You are such a naughty boy. Kichern. Wieder die Frau. Das Brummen einer männlichen Stimme. You drive me crazy, honey. Really crazy. Ein meckerndes Lachen, es wirkte alt, schon ein wenig betagt, nach ziemlichem Knacker. Die Frau hockte sich rittlings ihm zugewandt auf seinen Schoß, das Kleid raffte sie dabei hoch, der kleine Mann unter ihr lag jetzt wie begraben, der Russe war es schon mal nicht, viel zu schmächtig, aber wer war es dann? Ich huschte bis zum Ausgang, kauerte mich hin, meine Augen gewöhnten sich langsam an das spärliche Licht. Die Frau war nicht Viviane, keinesfalls, sie wirkte zwar durchaus attraktiv, doch war sie deutlich älter, vielleicht schon vierzig? Dazu trug sie eher kurzes, dunkles Haar, eine gestufte Frisur, auffällig glänzende Ohrringe. Sie neckte ihn, seine Hände umfassten ihren Rücken, ihren Hintern, ihre Schenkel. Kleidung raschelte.
 Oh, honey … Sweetheart … Darling.
 Das menschliche Paarungsverhalten erschöpfte sich wirklich in ein paar wenigen Stereotypen und doch reicht es, die Erde mit Menschen zuzupflastern. Der Typ schnappte bald nach Luft, aber ich hatte nicht vor, auch noch den Schlussakkord abzuwarten und beschloss, mich schleunigst zurück zu ziehen. Was ich herausfinden wollte, wusste ich ja jetzt.
 Da hörte ich hinter mir ein seltsam quietschendes Gähnen, und es machte Klapp wie beim Schließen eines Deckels. Vom Boden wuchtete sich ein brauner Fleischberg hoch, schüttelte sich als würde man nasse Lappen schwingen, und knurrte. Ein tiefwelliges Brummen, das sofort Urinstinkte weckte. An eine Zeit, wo sich unsere Bioform in den Wäldern noch richtig schwer tat, um am Abend pünktlich ans Lagerfeuer zurückkehren zu können. Seine schwarzen, unheimlichen Augen nahmen mich genau ins Visier und so nach und nach kam Bewegung in dieses Monster. Es bellte nur ein einziges Mal, das Geräusch allein durchwehte bereits der zarte Hauch des Todes, erst watschelte es auf mich zu, doch war das nur der Anlauf und es beschleunigte rasch. Mindestens ein Zentner Abtropfgewicht, schätzte ich über den Daumen, heilige Scheiße, ich hatte ein ernsthaftes Problem. Er war jetzt genau zwischen mir und der einzigen Rückzugsmöglichkeit am Heck.
 „Who’s there?“, hörte ich den ollen Sack draußen rufen und „I have a gun“.
 Na, sicher doch. So wie er es betonte, klang es eher wie Ich hab nen großen Bruder und der vermöbelt dich gleich.
 Es blieb mir nichts anderes übrig, als zu den beiden hinaus aufs Sonnendeck zu springen, dort möglichst blitzartig die Kurve zu kriegen und an der Außenseite des Schiffes zurück zum Kai zu flüchten. Ich war gerade erst an der Reling angelangt, als das Ungetüm hinter mir bereits deutlich aufgeholt hatte, erstaunlich behände einen Haken schlug, doch dann das ziemlich niedrige Dach als Abkürzung nutzte, um mir den Weg abzuschneiden, einen gewaltigen Satz machte und mir fast auf Augenhöhe entgegen raste. Instinktiv duckte ich mich weg und der Fleischberg sauste über mir hinweg ins Leere. Er streifte mich am Kopf, klatschte wie ein nasser Sack ins Wasser und plätscherte dort herum, ein klägliches Winseln auf den Lefzen.
 Badetag, Schnuffi.
 Am Heck angekommen, knallte es. Nicht sehr laut, eher hart und knackend, aber das waren tatsächlich echte Schüsse aus einer echten Waffe. Die ersten seit meiner Zeit bei der Bundeswehr und die war lange her. Ich hörte die Kugeln irgendwo um mich herum einschlagen. Mal wie ein Flopp, mal ein Klick, einmal sogar blechern hell als Ping. Ganz allerliebst.
 Fuck. Fuck. Fuck.
 Dieses reiche Pack hatte es echt drauf, das überraschte mich nun doch. Mein Oberkörper hatte Mühe, mit meinen Beinen mithalten zu können, die ihre Maximalgeschwindikeit erreichten. Ein paar kleinere Gruppen, die mir entgegen kamen und neugierig guckten, verscheuchte ich mit den Worten „Charlie Hebdo“ und „Bataclan“. Das war natürlich gemein und eine Verhöhnung der Opfer, aber andererseits auch ungeheuer wirkungsvoll, muss ich sagen. Sie stieben alle kreischend auseinander und verschwanden in irgendwelchen Löchern, die einen hierhin, die anderen dorthin, jeder woanders. So konnte ich wenigstens halbwegs sicher sein, dass sich später keiner an mein Gesicht erinnerte. Ausgelöscht von einer veritablen Panikattacke.
  
  „Lass uns einen Spaziergang machen“, sagte ich zu meinem Sohn, als ich zu ihm zurückkehrte und ihn sofort hinter mir her zog, immer weiter den Strand hinunter, bis sich genug Dunkelheit und Einsamkeit einstellte, um mich etwas zu beruhigen. Wir fanden eine betonierte Bank, ließen uns niedersinken und keuchten um die Wette. Ich war bis zu den Ohren aufgepumpt mit Adrenalin, zitterte, als hätte ich Schüttelfrost. Nach und nach heulten immer mehr Polizeisirenen über die Dächer hinweg, sie kamen aus allen Richtungen, eine Kakophonie der Hysterie.
 „Warst du das etwa?“, fragte mich Chris.
 „Natürlich nicht.“
 „Wirkt aber so.“
 „Dualität der Ereignisse.“
 „Dua … was?“
 Mit Fremdwörtern konnte man ihn prima ablenken. Und mit einem anderen Wort ging es noch besser.
 „Viviane“, sagte ich und setzte eine Pause.
 Sein Blick wurde sofort glasig. „Ja?“
 „Sie ist da nicht mehr.“
 „Wo?“
 „Auf dem Boot.“
 „Woher willst du das wissen?“ Er glotzte mich ungläubig an.
 „Na, woher schon? Ich hab gerade nachgesehen.“
 „Echt?“
 „Ja, warum auch nicht?“
 Ich nahm mir die letzte Dose Bier, die noch übrig war und genehmigte mir erstmal einen Schluck. Mein Herz pumpte immer noch volles Rohr Blut durch alle Leitungen, wahrscheinlich um sicher zu gehen, falls das noch nicht alles gewesen sein sollte. In meinen Ohren rauschte es wie die Klospülung in einem Altbau. Inzwischen hing ein Hubschrauber über der Altstadt und ein Lichtfinger stocherte zwischen den Häusern herum.
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Created by Andreas Kurz
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